Das Cello in Kriegszeiten

Er ist ein Nachfahre von Mendelssohn und Marx, hat eine Lockenmähne wie ein Rockstar, interessiert sich für historische Aufführungspraxis genauso wie für zeitgenössische Musik, moderiert Radiosendungen und schrieb ein Kinderbuch mit dem Titel: "Warum Beethoven mit Gulasch um sich warf". Der britische Cellist Steven Isserlis punktet neben seiner Technik und Musikalität stets auch mit originellen Ideen: Sein neues Album steht unter dem Motto "Das Cello in Kriegszeiten", was sich sowohl auf das Repertoire wie auch auf ein ziemlich außergewöhnliches Instrument bezieht.

Debussy reagierte auf den Ersten Weltkrieg als Patriot: Seine späte Cellosonate orientiert sich bewusst an französischer Barockmusik fern von deutschem Romantikschwulst - auf dem Titelblatt tituliert er sich stolz als "musicien francais". Den britischen Pazifisten Frank Bridge stürzte die europäische Kriegskatastrophe hingegen in rastlose Verzweiflung, wie in seiner 1915 entstandenen Cellosonate zu hören ist.

Auch Faurés Cello-Sonate und Anton Weberns "Drei kleine Stücke" gehören zu jenen Werken, die Steven Isserlis auf seinem Album "The Cello in Wartime" interpretiert, wie immer mit überragender Musikalität und dem beseelten Ton seines Stradivari-Cellos. Das vertauscht er allerdings für die zweite Hälfte des Programms mit einem weitaus weniger edlen Instrument, das auf den ersten Blick wie ein Munitionskasten aussieht: Öffnet man aber die schmale, rechteckige Holzkiste, so finden sich in ihrem Inneren neben einem Bogen auch Griffbrett, Stachel und Steg, die sich mittels einfacher Schraubmechanismen innerhalb weniger Minuten an ihr befestigen lassen - fertig ist das Cello, das zwar reichlich eckig wirkt, aber definitiv besser klingt, als seine improvisierte Bauweise vermuten lässt.

Ende des 19. Jahrhunderts von der Londoner Firma Hill & Sons als praktisches "Reisecello" auf den Markt gebracht, begleitete der ingeniöse Musikkasten viele Soldaten in den Ersten Weltkrieg. Seine weitverbreitete Präsenz in den alliierten Schützengräben brachte ihm den Namen "Trench-Cello" ein. Das für die Einspielung verwendete Instrument wurde von einem britischen Soldaten und Amateur-Cellisten 1915 in die zweite Schlacht von Ypern mitgenommen. Was beide dort zwischen Chlorgas und Kanonendonner erlebt haben, können wir nur erahnen; ihr Repertoire für die Gefechtspausen mögen patriotische Lieder wie "Keep the Home-Fires Burning" oder Parrys Hymne "Jerusalem" gewesen sein - wie sie Isserlis auf dem Trench-Cello und seine sensible Klavierbegleiterin Connie Shih völlig unverkünstelt und pathosfrei spielen. Eine bewegende Geschichte, die uns daran erinnert, wie lebenswichtig Musik immer gewesen ist - nicht nur für Musiker und nicht nur in Zeiten des Krieges!

Ein Hörbeispiel finden Sie hier.

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